Schutzrechte stärken! Interview zum Orange Day 2021 #orangetheworld #16 days
Andrea Hitzke, Expertin im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission e.V. im Interview
Grafiken der UN hier: https://trello.com/b/2n3wcRVJ/16-days-of-activism-2020
Jährlich zwischen dem25. November, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ und dem 10. Dezember, dem „Internationalen Tag der Menschenrechte“, macht die UN-Kampagne "Orange the World" weltweit auf die überbordenden Zahlen von Opfern und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam. Die Farbe Orange steht für die Beendigung von geschlechtsspezifischer Gewalt.
Wir nehmen das zum Anlass mit Andrea Hitzke, Common Purpose Alumna aus Dortmundzu sprechen. Das Gespräch führt Hella Sinnhuber.
Die Formen von Gewalt, mit denen das Team der Mitternachtsmission zu tun hat, sind vielfältig. Im Rahmen des Orange Day werden jährlich Zahlen zum Thema partnerschaftliche Gewalt herausgegeben, weltweit wurden 2020 rund 243 Millionen Frauen und Mädchen Opfer von Partnerschaftsgewalt. In Deutschland stirbt jeden dritten Tag eine Frau an den Folgen.
Wie denkst Du über diese Zahlen – gibt es eine Schnittmenge zu Menschenhandel und Zwangsprostitution?
Die Zahlen sind erschreckend. Politik und Behörden aber auch Zivilgesellschaft müssen verstärkt Maßnahmen treffen, dass diese Verbrechen möglichst nicht stattfinden und Betroffenen schnell und effektiv geholfen wird. Dafür muss dann auch ausreichend Geld in die Hand genommen werden.
Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution aber auch anderer Ausbeutungsformen haben in Deutschland besondere Schutzrechte.
... Schutzrechte?
Diese werden leider oftmals nicht gewährt. Ich fordere daher konsequente Gewährung und Anwendung dieser Rechte zum Schutz der Betroffenen dieser Verbrechen. Dazu gehört auch eine flächendeckende Ausweitung der Unterstützungsstrukturen in diesem Bereich.
Wie hat sich die Pandemie auf Eure Arbeit ausgewirkt?
Wir haben auch in dieser schwierigen Zeit nicht nachgelassen, Schutz- und Hilfesuchende zu unterstützen. Durch die Corona Schutzmaßnahmen gestaltete sich das jedoch komplizierter und zeitaufwändiger. Die Betroffenen, die eh aufgrund von Traumata in einer psychisch schwierigen Situation sind, litten zusätzlich sehr durch die Kontaktbeschränkungen und die Verunsicherung durch die gesamte Corona Situation. In der Arbeit mit Prostituierten wurden wir massiv konfrontiert mit den Nöten der Frauen, die plötzlich keinerlei Einkommen mehr hatten und auf Notfallhilfen angewiesen waren dann von gewalttätigen Übergriffen und Ausbeutung betroffen wurden.
Worüber sollte die Öffentlichkeit mehr erfahren?
Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit noch mehr sensibilisiert wird, so dass nicht wegesehen wird, sondern die von Gewalt und Ausbeutung betroffenen Menschen Unterstützung und Hilfe erhalten.
Welche politischen Rahmenbedingungen würdet ihr Euch wünschen?
Es muss sichergestellt werden, dass Betroffenen von Gewalt und Menschenhandel die ihnen zustehenden Rechte gewährt werden. Ich wünsche mir eine Ausweitung der Schutzrechte für von Menschenhandel Betroffene, so dass sie nicht zwangsläufig reviktimisiert werden, weil sie kein Bleiberecht erhalten. Außerdem muss die Unterstützungsstruktur ausgeweitet und gestärkt werden. Dies gilt auch für die Strafverfolgungsbehörden, die für diesen Bereich besser ausgestattet und gestärkt werden müssen.
Führung unter besonderen Bedingungen! Was fordert Dich als Leiterin am meisten heraus?
Das ist der immerwährende und sich wiederholende Druck, die Finanzierung für die Arbeit einzuwerben und sicher zu stellen. Wenn die Kooperation durch Fluktuation zum Beispiel bei den Behörden stagniert und wir wieder ganz von vorn anfangen müssen die Kommunikation aufzubauen.
Wie mutig müsst ihr sein? Was denkst Du über zivilen Ungehorsam?
Wir setzen uns für eine stark stigmatisierte und diskriminierte gesellschaftliche Randgruppe ein, die sich in einem Tabubereich bewegt. Die Vertretung ihrer Interessen stößt häufig auf Unverständnis und kann bis zu Diffamierungen führen. Das gilt es auszuhalten und sich dagegen zu stellen. Der Schutz unserer KlientInnen macht auch schon mal notwendig, gegen die Regeln zu verstoßen.
Digitalisierung und Transformation sind die großen Themen der Arbeit der Zukunft. Was sind Eure Zukunftsthemen auf die ihr Euch einstellen müsst? Digitalisierung ist auch bei uns ein Thema. Seit 2020 haben wir zum Beispiel ein Onlineberatungsangebot. Für uns gilt es flexibel zu bleiben, damit wir schnell auf neue Herausforderungen in unserem Arbeitsfeld reagieren können.
Was kann jede/r einzelne beitragen?
Hinschauen und Helfen.
Was wäre dein größter Wunsch (auch an die neue Regierung)?
Mein Wunsch ist, dass die neue Regierung den Problembereich Ausbeutung und Menschenhandel als prioritäre Aufgabe sieht, hilft Unterstützungsstrukturen auf- und auszubauen und für die Stärkung der Rechte der Betroffenen sorgt.
Steckbrief: Andrea Hitzke leitet seit 2012 die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. Der Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution hat sie seit 1988, ihrem Start in der Mitternachtsmission, nie wieder losgelassen. Andrea Hitzke hat sich in über zwanzig Jahren in vielen Bereichen der Arbeit für Prostituierte eingesetzt. Sie baute unter anderem die Streetwork in der Beschaffungsprostitution auf, kümmerte sich schon früh um Kinder und Jugendliche, die auf dem Strich gelandet waren und widmete sich intensiv der Hilfe für Opfer von Menschenhandel. Seit 2013 wirkt sie als Vorstandsmitglied im bundesweit arbeitenden Koordinierungskreis gegen Menschenhandel mit. Für die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung ECPAT Deutschland e.V. ist Andrea Hitzke seit 2003 als Trainerin zum Themenschwerpunkt „Kinderhandel“ aktiv, von 2015 bis 2019 arbeitete sie im Vorstand mit. Als Expertin schulte sie unter anderem das Bundeskriminalamt, das Landeskriminalamt NRW, in Polizeifortbildungsinstituten, bei der Bundespolizei, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. unterhält eine Fachberatungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und eine spezialisierte Beratungsstelle für die Opfer von Menschenhandel in Nordrhein-Westfalen. Der gemeinnützige Verein arbeitet im Dachverband des Diakonischen Werkes und besteht seit 1918 in Dortmund. Die Mitternachtsmission arbeitet mit einem Kernteam von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und einer großen Anzahl von Honorarkräften und Ehrenamtlichen.
Kontakt: Andrea Hitzke, Telefon: +49 231 14 44 91, E-Mail: info@mitternachtsmission.de http://mitternachtsmission.de