Verletzlichkeit vs. Widerstandsfähigkeit

Resilienz bedeutet „Widerstandsfähigkeit“. Wie verletzlich selbst wir in Mitteleuropa sind, zeigt die Corona-Pandemie:

• Menschen sind verletzlich, weil sie sich am Corona-Virus anstecken, erkranken und sterben können
• Organisationen sind verletzlich, weil ihre MitarbeiterInnen nicht zur Arbeit kommen, ihre KundInnen weniger abnehmen, ihre LieferantInnen nicht liefern, ihre Partner nicht funktionieren
• das Gesundheitssystem ist verletzlich, weil seine Kapazitäten knapp und seine Anpassungsfähigkeit träge ist, während die Pandemie exponentiell beschleunigt
• das Wirtschaftssystem ist verletzlich, weil seine Bausteine – die Unternehmen – aus gesundheitlichen und politischen Gründen ausgebremst sind

Verletzlichkeit ist, was wir erleben. Verletzlichkeit ist, was das Corona-Virus uns vor Augen führt. Die Pandemie zeigt uns, wie nicht-nachhaltig wir unsere Systeme aufgestellt haben: unsere Unternehmen, unsere Systeme, unsere Haltungen.
Das Gegenteil von Verletzlichkeit heißt: Widerstandsfähigkeit. Resilienz. Widerstandsfähigkeit gibt es nicht gegen alle Risiken gleichzeitig. Systeme
können nur gegen eine gewisse Auswahl an Risiken widerstandsfähig sein:


• Pandemien
• Finanzkrisen
• Energiekrisen, Black Outs
• Extremwetter, Klimawandel
• Politische Krisen
• …

Spannend ist auch, wie sich im Wandel der Krisen die Prioritäten verschieben.
Galten in der Finanzkrise 2007/2008 noch Banken als „systemrelevant“ sind es in
Corona-Zeiten die Bäcker (https://www.presseportal.de/pm/42829/4555802).


Risikomanagement und Resilienz als Strategiemuster


Bisherige Formen des Risikomanagements haben offensichtlich nicht dazu geführt, dass einzelne Unternehmen, das Gesundheitssystem oder die gesamte deutsche oder europäische Gesellschaft eine angemessene Widerstandsfähigkeit gegen Pandemien entwickelt haben. Und es dürfte keine
Überraschung sein: auch für andere Krisensituationen sind wir nicht gewappnet, ganz vorneweg: Flächendeckende Stromausfälle.
Wir wissen allerdings auch: „Risikomanagement gegen alles“ gibt es nicht. Resilienz muss sich auf ein überschaubares Set von Risiken begrenzen. Auch „Risikovermeidung hausintern“ ist begrenzt: Vollständige Selbstversorgung ist eine Illusion! Alle Systeme heute sind abhängig von anderen Systemen, alle Organisationen von einem funktionieren Energiesystem, Mobilitätssystem, Verwaltungen, Finanzsystem, ITK-System. Resilienz bleibt also relativ, aber: sie gehört als „strategisches Muster“ in jeden Management-Werkzeugkasten! Die Corona-Pandemie und ihre Wirkungen zeigen uns, wie nicht-nachhaltig unsere Systeme sind. „Resilienz“ muss als Nachhaltigkeits-Dimension in die Steuerungshandbücher unserer Führungskräfte.

 

Systemanalyse!

Um die eigene Organisation resilienter zu machen, bedarf es Analysen aus einem Risikoblickwinkel:

• Was sind unsere Kernfunktionalitäten und unsere Systemleistungen?
• Welche Risiken bedrohen unsere Handlungsfähigkeit, mit der wir diese Funktionen bereitstellen und Leistungen erbringen?
• Welche Szenarien sind denkbar, die solcher Art Risiken spürbar werden lassen?
• Welche Szenarien können innen entstehen, also hausintern? Welche Sub-Systeme sind wie verletzlich?
• Welche Szenarien haben ihre Quelle außerhalb unseres direkten Einflussbereichs? Welche Umgebungssysteme sind für unsere eigene Handlungsfähigkeit entscheidend? Wer sind die Ansprechpartner in diesen Systemen?
• Was senkt unsere Verletzlichkeit gegenüber hausinternen Risiken, was erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Risiken aus den Umgebungssystemen?
• Welche Verletzlichkeiten müssen wir akzeptieren, weil die Aufwände zu hoch wären, sie zu beheben? 

 

Verletzlichkeit senken, Widerstandsfähigkeit erhöhen 

Als der Ökonom und Mitautor des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ 2011 in der Enquete-Komission zu „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ 2011 im Bundestag sprach, beschrieb er Resilienz wie folgt: 
„Widerstandsfähigkeit ist die Kapazität eines Systems, seine Ziele zu erreichen, auch wenn es einer Schockeinwirkung ausgesetzt ist. Da ist gewisse Elastizität.“ https://www.youtube.com/watch?v=d8tDyus6DMg

 

Größere Resilienz läßt sich nach Meadows herstellen durch Puffer, Effizienz und Redundanz. Redundanz kommt zum Zuge, wenn im Rahmen der Corona-Pandemie Auto- Zulieferer beginnen, Motoren für Beatmungsgeräte herzustellen und nicht nur darauf angewiesen sind, der Automobilindustrie zuzuliefern.
Redundanz wird auch in Flugzeugen oder Raumfahrzeugen eingesetzt, wenn kritische Systeme, wie Triebwerke oder Bordcomputer doppelt vorhanden sind, um Ausfälle eines Systems durch das Weiterlaufen des zweiten zu kompensieren. Organisationen, die nur ein Geschäftsmodell haben, können diesen zwar hocheffektiv bespielen, sind aber sofort in ihrem Kern gefährdet, wenn dieses Geschäftsmodell nicht durchführbar ist. Siehe: Veranstaltungsorte.

Effizienz kennt unsere bisherige Wirtschaftsweise bereits: Kosten-Nutzen- Rechnungen sind allgemein bekannt. Wer auf wenig Input angewiesen ist,
kann Lieferausfälle eher verkraften als Organisationen, die zum Funktionieren große Input-Mengen benötigen.

Puffer sind (Zwischen-)Speicher: Wer ein Lager hat, in welchem er benötigte Materialien zwischenpuffert, den trifft das Entschleunigen von Wertschöpfungsketten wenig. Gleiches gilt für (finanzielle) Rücklagen. Natürlich: jegliches Einbauen von Redundanz oder Puffern kostet. In der Gewinnmaximierungsphilosophie zu Beginn des 3. Jahrtausends war es verpönt bis unmöglich, Geld für Redundanz oder Puffer auszugeben. „Just in Time“ hieß die „Lagerphilosophie“ der Industrie und verstopfte unsere Autobahnen mit hohen externalisierten Kosten für Gesellschaft und Umwelt. Die Nachhaltigkeitsfrage, der wir angesichts Artensterben, Klimawandel und Ressourcenverknappung gegenüberstehen, wird mit Effizienz und Gewinnmaximierung nicht beantwortet werden. Resilienz ist jedoch definitiv eine Nachhaltigkeits-Dimension, die – schon aus Selbstschutz-Gründen – als strategisches Muster in jeden Management-Werkzeugkasten hineingehört. Ergänzen wir es um Handlungsmuster mit ökologischen und sozialen Wirkungsdimensionen, hat die menschliche Zivilisation vielleicht noch eine Chance.