Hella Sinnhuber: Mit welchen Gedanken schauen Sie zurück auf Ihr Mandat?

Dr. Konstantin Mettenheimer: ... mit echter Dankbarkeit, dass ich die 8 Jahre als Vorsitzender des Vorstandes mitwirken durfte. Es war ein spannender Zeitabschnitt mit großer Bedeutung. Man lernt mit jeder menschlichen Begegnung dazu. Dafür bin ich wirklich dankbar.

Zweitens, ob man es nun glaubt oder nicht, auch ehrenamtliche Aufgaben sind Verantwortungen und eine kleine Bürde, insofern fühle ich mich auch erleichtert, die Stafette an den Nächsten weiterzugeben und mit Dr. Francesco De Meo haben wir einen tollen neuen Vorsitzenden für Common Purpose gewinnen können. Ich blicke zurück mit großer Freude auf viele anregende Kontakte, mit wirklich verschiedenen Menschen. Common Purpose hat sich ja diese Verschiedenheit und daraus etwas zu machen, zur Aufgabe gemacht. Menschen kennenzulernen, die ganz verschieden, aus ganz verschiedenen Ecken sind, mit ganz verschiedenen Ansichten, das macht Spaß. Oftmals sind Blickwinkel dabei gewesen, die man selbst nie hätte erahnen können, wo man sich dann eingestehen musste: Auf die Idee wäre ich überhaupt nicht gekommen.

Drittes: Bedauern, dass ich nicht noch mehr Zeit hatte. Aber manchmal ist es zwischen Beruf, Familie und anderen Verpflichtungen schwierig, allen Dingen gleichzeitig gerecht zu werden. Dankbarkeit, Freude, Bedauern, und eine kleine Erleichterung. Und interessant war auch die weltweite Entwicklung: Julia Middleton als Gründerin und Chefin zu erleben und nun ihre Nachfolgerin Adirupa Sengupta und den internationalen Council, in dem ich auch mitwirken konnte, - das inspiriert!

Was haben Sie aus den internationalen Gesprächen mitgenommen?

... das soziale Themen rund um die Welt immer dieselben sind. Menschen haben in ihrem Zusammenleben stets dieselben Fragen aber verschiedene Lösungsansätze. Da gibt es das Buch über Kulturelle Intelligenz (CQ) von Julia Middleton: Wie man in verschiedenen Ländern an Dinge rangeht. Die einen offener, und gerade die Deutschen häufig extrem direkt. Andere in der Kommunikation zurückhaltender, die Engländer mit Formulierungen, bei denen mancher Deutsche sich fragt, was meinen sie jetzt eigentlich? In Australien vielleicht wieder etwas direkter. Im asiatischen Raum häufig besonders liebenswürdig, aber so, dass man erstmal hinhören muss, um genau das Thema zu verstehen, was bei einem Amerikaner oder Deutschen nicht zu überhören ist. Kurz: die verschiedenen Kommunikationswege und sozialen Verhaltensweisen.

Konkrete Beispiele haben Sie dafür nicht, oder?

Die Frage hatte ich befürchtet... ein kleines Muster zur Veranschaulichung und bitte nicht als Vorurteil verstehen: In Deutschland und der Schweiz ist man pünktlich, wenn man genau zur vereinbarten Uhrzeit kommt, in England ist man fünf Minuten nach der genannten Zeit, in Frankreich 10 Minuten, in Spanien 20 Minuten nach der genannten Zeit pünktlich. Und das faszinierende, dann kommen alle gleichzeitig und sehen sich als pünktlich. Es ist also gar nicht unhöflich, wenn man in Spanien 17:00 Uhr sagt und alle erst um 17:20 Uhr kommen. Wenn man selbst aber schon um 17:00 Uhr bereit steht, weil man nicht weiß, dass 17:00 Uhr auf Spanisch 17:20 Uhr heißt, ist man eben der Übereifrige. Interessanterweise hat sich das mit Videokonferenzen geändert. Mal sehen, was das in der Zukunft für physische Treffen bedeutet. Ein weiteres Beispiel, im britischen Englisch, wird eine Aussage gerne als Frage formuliert. Da muss man genau hinhören. Oder wenn Sie im schweizerischen mal überlegen, wird traditionell häufig am Ende eines Satzes ein „oder?“ gesagt. Das soll eigentlich gar keine Alternative offenlassen, sondern ist eine Höflichkeitsformel, den Anderen zum Sprechen einzuladen. Wohingegen man im Deutschen bei genauem Hinhören erlebt, dass eine Bejahung häufig mit dem Wort „Nein“ beginnt.

Sie meinen, „Nein, ja, also was ich sagen wollte“...?

Ja genau! Das Wort „Nein“ kommt im Deutschen erstaunlich oft vor, obwohl man gar nicht verneinen will. Über die Grenze hinweg, gerade wo CP so auf Gemeinsinn und Zusammenfinden eingestellt ist, fällt ein solcher Unterschied viel schneller auf, während man im eigenen Sprachraum ihn gar nicht so bemerkt, weil man ihn anders hört. 

Welche Aha-Momente verbinden Sie noch mit Common Purpose?

Zeitungslektüre!

Zeitungslektüre?

In der Zeitung lese ich oft, man müsse die Menschen zusammenbringen zu einem Gespräch. Und dann habe ich immer gedacht: Ja, genau das ist doch Common Purpose, das ist doch genau unsere Aufgabe! Einer der schrecklichen Momente, zum Beispiel, war der Anschlag in Hanau. Nicht, dass CP im engeren Sinne so etwas verhindern könnte, aber vielleicht ist es eine zentrale Aufgabe, die Menschen zusammenzubringen, dass sie miteinander reden. Und eigentlich müsste CP zehnmal so groß sein und den Menschen dabei helfen, ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen. Ihre Werte zu verstehen und gemeinsam neue zu entwickeln. Häufig ist es nur die Angst vor dem Unbekannten und die Unwissenheit, wenn man sich sagt: naja, das guck ich mir mal lieber in Ruhe an. Bei Common Purpose verlieren viele die Angst vor dem anderen, dem Fremden.

Herr Dr. Mettenheimer, was hat richtig Spaß gemacht?

Etwas formen zu können und zu versuchen, Menschen weiterzubringen. Ich persönlich hatte bei Freshfields eine charmante Erfahrung. Ich wurde Seniorpartner und Weltchef und plötzlich kommt John Brown „I am your coach“. Und dann sagte ich: „Das ist ja nett, wo kommst du denn her? Ich habe dich nicht bestellt.“. Da sagt er: „Nein, nein. Der Personalchef hat mich bestellt. Der hat gesagt, „Unser neuer Weltchef der kann vielleicht noch was lernen“. Und dann habe ich viel mit ihm zusammengearbeitet. Und was er mich über menschliche Verhaltensmuster gelehrt hat! Eigentlich Alltagsfertigkeiten, es ist wirklich bemerkenswert, mit wie wenig Antennen man manchmal durchs Leben geht (... vielleicht ist das auch eine besonders männliche Eigenschaft, keine Ahnung) und wenn man als Betriebswirt und Jurist geschult ist, denkt man immer in sehr sachlichen und zu wenig in persönlichen Dimensionen. Aber diese menschlichen Antennen aufzustellen, zuzuhören, Emotionen wahrzunehmen, festzustellen, dass es keine Irrationalität gibt, das sind wichtige Momente; denn die Menschen sind nicht irrational, sie sind rational und zugleich emotional und vielleicht kommen noch ganz andere Einflüsse hinzu. Aber niemand ist ohne Verstand. Und es gibt viele Ströme in einem selbst. Also ich hatte viele Dinge zu lernen und konnte ein bisschen davon an CP weitergeben. Das hat mir mit am meisten Freude als Vorstandsvorsitzender gemacht.

Nervig ist der ganze Verwaltungskram, das ist einfach mühsam, muss aber bei jeder Vereinigung oder Institution sein. Und dann hat mir natürlich auch Freude gemacht, wenn Julika Rollin und ich ab und zu eine Stiftung oder ein Unternehmen gewinnen konnten, die uns unterstützt. Wenn wir sagen konnten: Hurra, das haben wir geschafft! Es hat auch immer viel Spaß gemacht, die Teammitglieder zu sehen, auch wenn ich bedaure, dass ich nicht genug Verbindung hatte.

... und was ist noch offengeblieben?

... das Alumni-Netzwerk noch stärker zu gestalten und als Dauerbrenner zu etablieren und als einen weiteren Punkt nenne ich mal bei Common Purpose Fertigkeiten zu erlernen.

Da bin ich gespannt...

Die Reibungsflächen und die Ängste der Menschen werden tendenziell mehr werden, es wird nicht ruhiger mit Globalisierung, Klimawandel, Pandemien, etc. man wird immer häufiger außerhalb seiner Komfort-Zone sein als innerhalb. Und ich bin mir sicher, man kann den Menschen nicht nur das Zusammenspiel erleichtern mit den Common Purpose Programmen und Methoden, indem man zusammenbringt, herausfordert, neue Dinge vorstellt usw., sondern auch, indem man bestimmte Fertigkeiten im Umgang miteinander vermittelt und erlernt.

Die Menschen haben bestimmte Verhaltensmuster. Sie sind nicht immer mechanisch dieselben, aber in Gruppen, im 1:1, bei guten Nachrichten, bei schlechten Nachrichten zeigen wir alle sehr häufig immer dieselben Verhaltensmuster. Und wenn man einen Gedanken bei seinem Gegenüber auslösen will, ist es die schlechteste Methode zu sagen „Du musst das jetzt machen!“ Sondern es ist wichtig zu locken und intrinsisch zu motivieren, dass jemand etwas von sich aus will und macht. Und diese Fertigkeiten helfen Menschen auch mit schwierigen Situationen, Reibereien mit anderen und ihren Ängsten umzugehen. Vielleicht kann es eine Aufgabe für Common Purpose sein, wir bringen in unseren verschiedenen Programmen sehr menschliche Fertigkeiten bei und mit, indem wir Teilnehmenden erklären, wie sie und andere interagieren und Möglichkeiten geben, schwierige Situationen und Konflikte aufzulösen.

Was geben Sie Common Purpose und Francesco De Meo noch mit auf den Weg?

Für mich als überzeugter Katholik ist Common Purpose auch eine Form der gelebten Nächstenliebe, des Zusammenseins. Außerdem hat die Kirche den Leitgedanken: „ecclesia semper innovanda“, das heißt, die Kirche soll sich ständig erneuern. Und mit CP ist es genauso. Ein Vorsitzender ist acht Jahre im Amt, jetzt kommt der Nächste. Ich werde den Teufel tun, Herrn Dr. de Meo zu empfehlen, was er tun soll. Man muss sich immer wieder neu erfinden und nach acht Jahren sagen: „So Kinder, jetzt ist es genug.“ Und vielleicht wäre es wie beim amerikanischen Präsidenten auch für den deutschen Bundeskanzler gut, wenn man sagt, nach acht Jahren... ist auch Common Purpose „semper innovanda“.

Eine für Common Purpose wichtige jüngste Beobachtung ist: Voraussetzung für die Entwicklung von Gemeinsinn ist das wahrhaftige Gespräch. Darum ist es aber schlecht bestellt in Deutschland. Nach einer Umfrage des Allensbach Instituts, die diese seit 1953 betreibt, ist das Gefühl, seine Meinung vor allem zu politischen und gesellschaftlichen Themen frei sagen zu können, so niedrig wie noch nie. Es haben nämlich nur noch 45% Prozent das Gefühl, man könne seine Meinung frei sagen, während 44% das Gefühl haben, man müsse besser vorsichtig sein. Ein gefährliches Ergebnis. Wir müssen also tatsächlich auch die freie Meinungsäußerung als Voraussetzung unserer Kernthemen fördern.

Und zum Schluss: Die Menschen suchen Orientierung. Gerade in heutiger Zeit schätzen sie es, Individuen zu erleben, die mit Integrität und Festigkeit durchs Leben gehen. Sie suchen diejenigen, die eine bestimmte Überzeugung haben, die dennoch offen sind und zuhören.

Die Menschen suchen ein Vorbild?

Ja genau, so sind wir als soziale Wesen geprägt. Mit zunehmendem Alter stelle ich fest, an solche Personen lehnen die Menschen sich gerne an. Und ich glaube, jeder einzelne bei Common Purpose hat die Möglichkeit, als gefestigter Mensch durchs Leben zu gehen und als Vorbild zu handeln. Die Menschen schätzen es einen Pfosten zu haben, an dem man sich anlehnen kann. Klar kann man sich auch reiben an den Pfosten, aber man kann sich auch anlehnen, wenn man möchte.

Und ein letzter Punkt, der vielleicht auch erst mit den Jahren gekommen ist, ist das Zeitmanagement. Es gibt gute Zeitfenster und es gibt schlechte Zeitfenster. Man muss nicht immer beeilt sein und man muss auch nicht immer konzentriert sein, aber man muss versuchen, die schlechte Zeit auszumerzen und zu sagen „Nein, damit mülle ich mir nicht den Kopf zu“. Damit bleibt dann genug Zeit für die guten Dinge übrig.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ja, die Digitalisierung ist hierfür ein besonderer Faktor. Mit Hilfe des Internets lässt sich zwar prinzipiell alles schneller erledigen, aber man wird auch oftmals zugemüllt. Ich meine, mittlerweile kann man ja 1000 Leute in „CC“ setzen, aber muss das immer sein? Man sollte die Zeit nicht mit Unnützem verbringen, wobei es dabei nicht um Nützlichkeit im Sinne von „ich kann nicht mehr bummeln, keinen Wein trinken und nicht in den Himmeln sehen“ geht, Muße muss sein, sondern es gilt keine Zeit zu vergeuden. Man sollte sich nicht mit Dingen quälen, die unnütz sind. Das klingt zwar wie eine Sonntagspredigt, aber das ist etwas, was mir über die acht Jahre hinweg immer durch den Kopf ging. Es ist auch sicherlich eine Frage des Lebensalters, aber ich habe erst spät gelernt, die gute Zeit zu nutzen und schlechte Zeit zu vermeiden.

... und wie nutzen Sie ab jetzt ihre Zeit? Herr Mettenheimer?

Ich habe viele Engagements, zwischen Familie, Arbeit, Pferden und gemeinnütziger Tätigkeit werde ich die Balance suchen. Aber vor allem gilt das Motto: Die Schlechte Zeit vermeiden und die gute Zeit genießen!

 

Herzlichen Dank, Dr. Mettenheimer.