ein Auszug von Susanna Biskup

Menschliche Begegnungen mit Unterschiedlichkeit, Diversität, Verschiedenheit, Vielfalt: Wer könnte dazu mehr sagen als eine Kroatin, die in Köln heimisch geworden ist und seit mehr als 20 Jahren beim WDR Programmschwerpunkte zu den Themen Migration, Integration, Flüchtlingspolitik, Vielfalt und Medien konzipiert und gestaltet? Dr. Iva Krtalic ist Beauftragte für Integration und interkulturelle Vielfalt beim WDR. Als "Keynote Speaker" gab sie beim Stipendiat*innenkolleg der Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung und des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds mit Common Purpose Impulse für wichtige Fragen und Diskussionen.

Was bedeutet kulturelle Vielfalt? Wer sind WIR in Nordrhein-Westfalen?

Ich bin in Kroatien geboren, habe einige Zeit in Italien gelebt, seit gut 20 Jahren bin ich in Köln und bin hier als Redakteurin im Hörfunk tätig gewesen. Der WDR war ein Sender, der Frauen mit Akzent wie mir eine Tür geöffnet hat. Es war nicht der Haupteingang, aber auch nicht die Hintertür...

Beauftragte für Interkulturelle Vielfalt - das klingt altmodisch. Vielmehr sollten wir der Frage nachgehen, wie wir das „WIR“ in dieser Gesellschaft definieren und behandeln? Hier sieht das sehr anders aus, als in der Gesellschaft, aus der ich komme.

Wer sind wir? In NRW gibt es 30 Prozent Menschen mit einem Migrationshintergrund. Den Begriff "Migrationshintergrund" mag ich nicht, es ist ein statistisches Etikett. Dieses Land wurde kontinuierlich von Einwanderungen geprägt (z.B. die türkischen Gastarbeiter). Viele Familien sind hier mehrsprachig und ihre Mitglieder fühlen sich mit mehreren Orten verbunden.

In den Medien gehen wir oft von einer homogenen Gesellschaft aus, aber unser Publikum ist sehr heterogen, es gibt in NRW 51 Prozent Frauen, etwa 30 Prozent mit Abitur, etwa 10 Prozent mit einer Behinderung...Dagegen haben Journalisten der "klassischen Medien" oft einen sehr ähnlichen Hintergrund (akademische Mittelschicht, gesellschaftlich gut integrierte Familien u.ä.) und sprechen diese heterogene Gesellschaft nicht (richtig) an.

Echte Teilhabe ist nicht nur ein Stück vom ganzen Kuchen

Frühere Einwanderergenerationen wollten nur ein Stück vom ganzen Kuchen haben. Heute haben wir eine Generation, die nicht nur ein Stück vom Kuchen haben will, sondern darüber mitbestimmen will, was gebacken wird und was auf den Tisch kommt. Echte Teilhabe ist gefragt, in den Medien, in der Kultur, in der Verwaltung....

Ich empfehle die Lektüre von Aladin El-Mafaalani.[1]

Wir müssen die Augen aufmachen. Wie sieht die Gesellschaft wirklich aus? Wir senden nicht für uns selbst, sondern für die ganze Gesellschaft!

Die richtige (An-) Sprache in den Medien

Wir haben vorletztes Jahr ein Forschungsprojekt begonnen mit jungen Menschen mit Einwanderungshintergrund. Wie nutzt ihr Medien? Was erwartet ihr? Kennt ihr uns beim WDR? Das haben wir sie gefragt.

Diese jungen Leute wollen nicht in eine Schublade gesteckt werden, sie repräsentieren eine hyperdiverse Gesellschaft mit den unterschiedlichsten Anlagen und Vorlieben. 62 Prozent von den Befragten wünschten sich, mehr Leute wie sie selbst in den Medien zu sehen. Also jemanden mit Migrationshintergrund, der oder die eine eigene Sendung moderiert. Das vermittelt z.B. bei einer Moderatorin das Gefühl: Cool!. Die hat es geschafft!

Vielfalt sollte also sichtbar und hörbar sein, in Straßenumfragen, in Expertengesprächen und in prominenten Jobs bei den Medien. Es ist bedeutsam, wenn eine Pinar Atalay in Deutschland die Tagesthemen moderiert.[2] Oder wenn eine Mai Thi Nguyen-Kim für uns die Corona-Inzidenzzahlen interpretiert.

Beim WDR haben wir nun 50 Prozent der Volontärinnen und Volontäre mit einem Einwanderungshintergrund. Wir brauchen diese Menschen, um dem Publikum authentische Lebenswelten zu zeigen. Insgesamt sind es noch immer zu wenig. Denn unser Publikum ist nicht dumm. Es sucht sich selbst seine Informationen über neue Technologien, über die sozialen Medien. Wir sind als Journalistinnen und Journalisten nicht mehr die Gatekeeper, die den anderen sagen, was wichtig und richtig ist. Es können so aber auch viele Missverständnisse entstehen und Hass erzeugt werden. Das zeigt sich z.B. bei Kriminalitätsberichten: Oft entsteht der Eindruck, dass die meisten Straftaten in Deutschland von Flüchtlingen begangen werden, obwohl das statistisch nicht stimmt.

 

Einen großen Dank an die Autorin des Auszugs aus der Keynote: Susanna Biskup, Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung.

[1] Anm: Sein 2018 erschienenes Buch "Das Integrationsparadox – Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt" war mehrere Wochen in den Bestsellerlisten. Im Kern entstehen durch die Zunahme der gesellschaftlichen Teilhabe auf verschiedenen Ebenen und für verschiedene Gruppen Verteilungs- , Interessen- und Zugehörigkeitskonflikte.

[2] Anm:Atalay ist die erste Tagesthemen-Moderatorin mit türkischen Eltern