Deutschlands Arbeitsmarkt hat ein Problem, das ist weitreichend bekannt: Es fehlen die Minderheiten insbesondere in Führungspositionen. Doch eine Gruppe fehlt besonders in allen Chef*innen-Etagen: Menschen mit Behinderung.
Wer in Deutschland mit einer Behinderung lebt, ist automatisch mit schlechteren Berufschancen konfrontiert. Menschen mit und ohne Behinderungen lernen, arbeiten und leben meistens nicht gemeinsam und wissen deshalb wenig von der anderen Lebensrealität. Trotz der Kritik der UN halten wir an einem exklusiven Bildungssystem und Arbeitsmarkt mit Förderschulen und Behindertenwerkstätten fest. Nur 30 % der Menschen mit Behinderungen gelangen überhaupt in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dabei steht „Diversity and Inclusion“ mittlerweile bei sehr vielen Unternehmen auf der Agenda. Doch gerade die Dimension Behinderung wird oft vergessen. Und so gibt es kaum Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Arbeitsmarkt - und schon gar nicht wirklich in Führungspositionen. Generell sind nur sehr wenige Führungskräfte mit Behinderung bekannt. Dazu zählen zum Beispiel Steve Jobs, der frühere, mittlerweile verstorbene CEO von Apple, Raul Krauthausen, der Gründer der Sozialheld*innen, aber auch Petra Strack und Karen Schallert, beide ehemalige leitende HR'lerinnen in großen Wirtschaftsunternehmen. Frühere Studien zeigten, dass Führungspositionen häufig durch Menschen mit psychopathischen Eigenschaften besetzt werden, da sie Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen mitbringen und so gewissermaßen auch eine Behinderung haben. Dieses Vorurteil ist mittlerweile überholt. Gleichermaßen ist aber auch bekannt, dass eine Behinderung jeden Menschen treffen kann. 97% der Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben. Körperlicher und psychischer Stress, den Führungskräfte häufig haben, ist dem zuträglich.
Generell kursieren noch viel zu viele Vorurteile über Menschen mit Behinderung im Bereich Arbeit. Sie reichen von nicht so leistungsfähig, oft krank über das hartnäckige Vorurteil, Menschen mit Behinderungen seien unkündbar. Um also mehr Menschen mit Behinderungen überall in der Arbeitswelt anzutreffen, müssen wir gesellschaftlich stets und ständig gängige Klischees und Bilder von Menschen mit Behinderungen hinterfragen. Denn längst nicht alle Menschen mit Behinderung sind sympathisch, aber inkompetent. Mit Schulungen und Workshops kann diesen unbewussten Vorurteilen entgegengewirkt werden.
https://www.youtube.com/watch?t=1&v=beH-Gp3Sr2M&feature=youtu.be
Menschen mit Behinderungen haben vielfältige Fähigkeiten, die sie in den verschiedensten Berufen einbringen können. In jedem Unternehmen gibt es Tätigkeiten, die Menschen mit Behinderungen ausüben können. Ihre Kompetenzen sind so vielfältig, wie sie selbst. Darüber hinaus sind arbeitslose behinderte Menschen oft qualifizierter, als Arbeitssuchende ohne Behinderung. Haben Menschen mit Behinderung erstmal einen Betrieb gefunden, dann sind sie sehr loyal gegenüber ihren Arbeitgeber*innen. Außerdem haben Menschen mit Behinderung oft ausgeprägte Soft Skills. Sie finden innovative Lösungsansätze oder bringen Organisationstalent mit, das sie in der barrierevollen Umwelt entwickeln mussten.
Viele Unternehmen können sich die derzeitige Schnelllebigkeit in der Personalpolitik nicht mehr leisten. Setzt ein Unternehmen also konsequent Inklusion um, tut es nicht nur etwas für mehr Gerechtigkeit in der Welt, sondern auch für das Unternehmen selbst. Denn das Unternehmen profitiert von diversem Talent und nutzt wichtige Ressourcen. Aber wie?
Aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderung suchen
“Wir würden ja gern mehr Leute mit Behinderungen einstellen, aber die bewerben sich nicht bei uns”, erzählen Unternehmensvertreter*innen häufig. Sie sagen, dass sie nicht wissen, wie und wo sie nach Bewerber*innen suchen können. In Zeiten des Internets sind viele Menschen mit Behinderungen überall dort unterwegs, wo auch Bewerber*innen ohne Behinderung sind - auf allen gängigen Jobplattformen. Aber auch spezielle Plattformen wie myability.jobs bieten eine Möglichkeit behinderte Bewerber*innen zu finden. Bewerbungen von behinderten Menschen können an nicht barrierefreiem Internet scheitern. Wichtig ist es, Jobs auf barrierefreien Plattformen zu veröffentlichen und dass die eigene Job-Page zugänglich ist und PDFs in einem barrierefreien Format sind. Es lohnt sich, sich darüber hinaus mit Initiativen und Projekten zu vernetzen, die Menschen mit Behinderung ganz konkret dabei unterstützen, inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Besonders wichtig für Menschen mit Behinderung ist die Barrierefreiheit eines Unternehmens. Hat das Unternehmen einen Aufzug? Gibt es eine barrierefreie Toilette?
Da Barrierefreiheit aber nicht nur Rollstuhlfahrende betrifft, können auch andere Aspekte, wie Licht und Akustik oder barrierefreie Software, wichtig sein. Grundsätzliche gesundheitsfördernde und familiengerechte Maßnahmen sind oft für Menschen mit Behinderung sehr hilfreich. Eine konkrete Ansprechperson im Unternehmen, die für Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit zur Verfügung steht und Bewerber*innen bei Schwierigkeiten unterstützt, stärkt den Eindruck, dass behinderte Menschen erwünscht sind. Denn viele behinderte Menschen ziehen Stellenausschreibungen für sich nicht in Betracht, weil Menschen mit Behinderung nicht explizit erwähnt werden.
Ausschlusskriterien im Auswahlprozess reflektieren
Fehlzeiten oder Lücken im Lebenslauf gelten noch häufig als etwas Schlechtes. Sie schließen damit Menschen mit Behinderungen jedoch kategorisch aus. Es ist wichtig, diese vermeintlichen Nachteile in etwas Positives zu deuten, denn eigentlich zeigt ein*e Bewerber*in mit ihrem Lebenslauf mit Fehlzeiten nur, dass die Person über ein sehr gutes Durchhaltevermögen verfügt. Viele behinderte Menschen sind aufgrund zeitintensiver Therapien und einer längeren Krankheit mal ein Jahr länger zur Schule gegangen oder haben ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit geschafft. So lassen sich Unternehmen also möglicherweise eine*n Mitarbeiter*in mit viel Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit - wichtigen Soft Skills in jedem Job - entgehen.
Inklusive Bildsprache nutzen
Auch die Bildsprache, die ein Unternehmen benutzt, beeinflusst, ob sich Menschen mit Behinderungen angesprochen fühlen. Mit Fotos lässt sich zeigen, wie Inklusion im Unternehmen bereits gelebt wird. Klischees zu umgehen, indem Bilder genutzt werden, auf denen behinderte Menschen aktiv statt passiv gezeigt werden, sind dafür ein wichtiger Bestandteil. Fotos sollten immer auf Augenhöhe gemacht werden - wie die der Fotodatenbank gesellschaftsbilder.de. Sie sollten authentische Situationen und Models mit Behinderung zeigen. Für viele Stockbilder werden zum Beispiel nicht behinderte Personen in veraltete Rollstühle gesetzt. Ein geschultes Auge erkennt schnell, dass das kein authentisches Bild ist. Zur Überprüfung kann man sich selbst die Frage stellen: Will ich selbst so dargestellt werden? Weitere Informationen dazu sind in der Broschüre "Auf Augenhöhe" nachzulesen.
Fazit
Der Weg zur einer inklusiven Gesellschaft ist für uns alle neu und manchmal auch anstrengend. Doch Inklusion ist keine Frage des Ob, sondern des Wie. Denn Inklusion ist ein Menschenrecht und kein nettes Extra. Dazu gehört auch, dass Menschen mit Behinderung überall dort arbeiten, wo alle anderen Menschen auch arbeiten - also auf allen unternehmerischen Ebenen. Nur gemeinsam können wir die gläserne Decke auch in diesem Bereich durchbrechen und Rampen und Aufzüge in alle Ebenen des Arbeitsmarkts bauen.
Sie müssen diesen Weg nicht allein beschreiten. Holen Sie sich Unterstützung. Unser Team von JOBinklusive berät Sie gern.
Profil:
Anne Gersdorff ist für die Organisation SOZIALHELDEN e.V. tätig. Seit über 15 Jahren arbeiten die Sozialheld*innen an Lösungen für mehr Teilhabe und Barrierefreiheit. Anne Gersdorff ist dabei die Expertin für das Thema Arbeit und als Referentin für das Projekt JOBinklusive tätig. Dort bringt sie Arbeitgeber*innen, Ausbilder*innen und Aktivist*innen zusammen, um mehr Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu beschäftigen.
Foto: Andi Weiland